Bundesweit wachsen inzwischen über 60 Millionen schnellwachsende Pappeln und Weiden auf rund 7.000 Hektar „Energiewald“ zur Erzeugung von klimafreundlichem Brennstoff als Alternative zu Kohle, Öl und Gas. Doch genau diese Klimafreundlichkeit wird von Wissenschaftlern, jedenfalls zu Teilen, bezweifelt. Hierzu ein Interveiw mit Helmut Haberl, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Umweltagentur (EEA), aus dem Jahr 2011 (hier die Originalversion).

 

Die Meldung sorgte im September 2011 in der Branche, insbesondere bei Biomasse-Erzeugern und Nutzern, für Aufregung: Der Wissenschaftliche Beirat der Europäischen Umweltagentur bezweifelt die Einsparpotenziale der prozentual hierzulande am stärksten genutzten Erneuerbaren Energie.

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Und das aus einem ganz simplen, rechnerischen Grund: In der Bilanz fehlt einfach das CO2, das ständig stehende Biomasse, etwa ein Wald, einsparen würde. Ein Interview mit Prof. Dr. Helmut Haberl, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates.

 

Herr Professor, wie sind Sie auf den Fehler bei der CO2-Bilanz gekommen?

 

Helmut Haberl: Wir haben das schon länger in der Diskussion. Ausgangspunkt sind aufgetretene Lücken, etwa im Kyoto-Protokoll. Dieses sieht vor, dass die Emissionen bei der Biomasseverbrennung nicht dem Energiesektor zugerechnet werden, sondern dem Landnutzungsbereich. Wenn nun aber die Biomasse aus einem Land kommt, das keine Reduktionsverpflichtung hat, so werden Emissionen im Landnutzungsbereich vernachlässigt – selbst dann, wenn die Co2 Emissionen viel größer sind als jene der Fossilenergie. Dies ist etwa bei Palmölgewinnung in tropischen Feuchtgebieten der Fall. Wir arbeiten darauf hin, dass es eine einheitliche Bilanzierung gibt. Deswegen schlagen wir ein Berechnungssystem vor, das die Treibhausgasemissionen der Bioenergie vollständig erfasst. Dafür sind genaue Daten nötig, wie viel CO2 weltweit von Pflanzen gebunden wird, wie viel pflanzliche Biomasse insgesamt wächst und wie viel die Menschen davon verwenden – für Ernährung, Futter, als Rohstoff und zur Energiegewinnung.

 

Das müssen recht große Mengen sein.

 

Die gesamte Biomasse, die Menschen derzeit weltweit nutzen, alles Holz, alle Nahrung, alles Futter der Weidetiere und alle Faserpflanzen, entspricht einer Energiemenge von etwa 230 Exajoule* – allerdings entzieht die Ernte dieser Biomasse den Ökosystemen wesentlich mehr Energie, etwa durch ungenutzte Nebenprodukte, durch Bodendegradation oder durch menschlich verursachte Feuer. Rund drei Viertel der globalen Landfläche wird, mehr oder weniger stark, zur Produktion dieser 230 Exajoule benötigt. Um den Hunger zu verringern und eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, werden es in Zukunft noch mehr sein. Zum Vergleich: derzeit verbrauchen wir weltweit etwa 450 Exajoule an Fossilenergie. Ein Umstieg von Fossilenergie auf Biomasse kann daher nicht funktionieren, und selbst wenn wir einen Teil der Fossilenergie durch Bioenergie ersetzen wollen, müssen wir sehr genau auf die ökologischen Effekte achten.

 

Könnten Sie mit wenigen Worten beschreiben, was an der Berechnung der CO2-Emissionen falsch ist?

 

Es sind mehrere Fehler. Wenn es um Länder geht, die keine Reduktionsverpflichtungen laut Kyoto-Protokoll haben, werden landnutzungsbezogene Emissionen etwa im Europäischen Emissionshandelssystem gar nicht erfasst. Beim Handel der Länder untereinander werden Emissionen ebenfalls nicht immer gezählt.

 

Ein weiterer Fehler: In fast allen Emissionsbewertungssystemen weltweit nimmt man für Biomasseverbrennung den Emissionsfaktor mit Null an – lediglich die Emissionen von Inputs wie Dünger oder, in manchen Fällen, durch direkte Landnutzungseffekte werden berücksichtigt. Ein 70 Jahre alter Wald hat 70 Jahre lang CO2 gebunden. Wenn ich den einschlage und das Holz verbrenne, ist das CO2 jahrzehntelang in der Luft, bis es wieder gebunden wird. Dies trägt zur globalen Erwärmung bei, wird aber bisher nicht berücksichtigt.

 

Und noch ein Fakt, der damit zusammenhängt: In Osteuropa wurde in Folge des politischen Umbruchs vor 20 Jahren viel Ackerland aufgegeben – heute wächst dort meist Wald. Der wirkt als große Kohlenstoffsenke und wird das noch viele Jahrzehnte lang tun. Wenn der wieder urbar gemacht wird, wie von vielen Politikern bereits angekündigt, würde das gebundene CO2 wieder freigesetzt und fehlt für die kommenden Jahre die Kohlenstoffsenke. Sprich: Die dort erzeugte Biomasse ist keineswegs CO2-neutral.

 

Dazu kommen indirekte Landnutzungseffekte: Wenn etwa ein Weizenfeld in eine Bioenergieplantage umgewandelt wird, wird der Weizen in der Regel wo anders angebaut. Dies kann zu Entwaldung und hohen Co2 Emissionen führen.

 

Ist Ihr Einfluss bzw. der des Beirates groß genug, um bei der EU eine Änderung herbeizuführen? Und wäre dies überhaupt sinnvoll?

 

Das kann ich nicht beurteilen. Bei unserer letzten Beirats-Sitzung Anfang Oktober in Kopenhagen war sehr wohl großes Interesse seitens der EU-Kommission und des EU-Parlaments spürbar. Es ging um die Frage, ab wann diese indirekten Landnutzungseffekte berücksichtigt werden sollen. Ursprünglich sollte die Frage erst in sieben Jahren wieder auf die Tagesordnung. Ich hoffe, dass das nun vom Tisch ist. Meiner Meinung nach wäre es gefährlich, wenn man sich weiter ein paar Jahre in den Sack lügt. Denn dann würde man Strukturen auch bei der Förderung aufbauen, die nicht unerheblich sind und eine Eigendynamik entwickeln, Ressourcen binden usw. Die Quotierungen sollten aus meiner Sicht auf bereinigten Treibhausgas-Emissionen beruhen. Derzeit sind die geforderten Emissionsreduktionen beschämend niedrig – nur etwa 35 Prozent – und selbst das ohne vollständige Treibhausgasbilanz!

 

Eine veränderte Förderung sollte bei Biomasse-Technologien die berücksichtigen, die technisch wirklich sinnvoll sind. Flüssige Kraftstoffe hätten dann nicht die größte Priorität, da für sie derzeit nur Stärke- oder Ölpflanzen genutzt werden können. Das bedeutet pro Fläche einen niedrigeren Energieertrag, als wenn ich die ganze Pflanze verwenden kann.

 

Nur Biomasse aus Resten, wie vom Beirat empfohlen, wird nicht funktionieren, das sehen wir derzeit am Holzmarkt. Was ist in Zukunft zu empfehlen?

 

Es geht nicht nur um Reste, es geht auch um degradierte tropische Böden, die man nutzen könnte. Also Flächen, wo früher etwas wuchs und heute nichts mehr oder nur wenig. Wenn es gelingt, dort Bioenergie anzubauen, ist das zusätzlicher Kohlenstoff, der mitgerechnet werden kann. Oder man baut Pflanzen mit höheren Erträgen an.

 

Welche alternativen Energien könnten für Sie einen Ersatz darstellen, immerhin ist Biomasse von den Erneuerbaren zumindest in Mitteleuropa die Nummer 1?

 

Direkte Solarenergienutzung ist eine Hoffnung von mir. Thermische Solarenergie spielt schon eine große Rolle. Besonders in der Stromerzeugung sollte man auf Photovoltaik zurückgreifen. Generell werden wir in Zukunft einen komplexeren Energiemix brauchen. Wir müssen weg von Königswegen und alle Energieträger miteinander verbinden.

 

Im Verkehr nur einen anderen Kraftstoff bereitstellen, ist zu kurz gedacht. Es geht auch um Verkehrsvermeidung, Siedlungsstrukturen, Dezentralisierungen der Gesellschaft. Wir müssen in Zukunft nicht jeden Tag ins Büro fahren, könnten viel mit Telekonferenzen abwickeln.

 

Wenn man Produktionsprozesse in immer kürzere Intervalle zergliedert, führt das zu einer enormen Zunahme des Verkehrs. Hier sollten wir gegensteuern, indem wir Transportwege vermeiden und auch in diesem Bereich umdenken.

 

 

* 1 Exajoule = 277.778 Milliarden Kilowattstunden(kWh)

 

 

Vorschaubild: Kurzumtriebsplantage; das Holz wird gehäckselt und als Brennstoff für Heizungen verwendet. Die Ernte erfolgt meist einmal jährlich. Foto: Lamiot / Wikimedia / Lizenz unter CC BY-SA 3.0

 

Der vollständige Beitrag erschien im Fachmagazin Brennstoffspiegel, Heft 11/2011. Er ist nur dort zu lesen.

CO2-Einsparung durch Biomasse: „Lügen uns in den Sack“

Frank Urbansky

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